Reiseberichte aus dem Sanella-Album Mittel- und Südamerika

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wie hier in diesem herrlichsten Winkel auf Gottes Erdboden gibt es in Südamerika kaum noch einmal!" Als wir von Valdivia ins Land hineinfuhren, gab es eine Überraschung: Die Holzhäuser der Siedlungen mit ihren Blumentöpfen an den Fenstern und Vorgärten an den Häusern sahen wie deutsche Bauernhäuser aus. "Richtig geraten!" sagte Fernandez. Hier wohnen tatsächlich viele Deutsche. Und die Kühe auf den Bergweiden sehen wie unsere friesischen aus. Das Vieh wird von den Hirten bis hoch in die Berge getrieben. Land und Leute machen einen fast europäischen Eindruck. Neger und Asiaten gibt es fast überhaupt nicht in Chile. Aber, lieber Jupp, das schönste ist hier doch die großartige Landschaft. Ich schreibe Dir das jetzt während einer Rast hoch im Gebirge, am Ufer eines tiefblauen Bergsees.

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Wir sind heute früh noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen, Fernandez, ein chilenischer Führer und ich. Zuerst hoben sich die gewaltigen Silhouetten der Berge vom heller werdenden Himmel ab, an dem die letzten Sterne verblaßten. Dann wurde der Himmel gelblich, bis die hinter den Bergen emporsteigende Sonne alles mit strahlendem Licht übergoß. Vor uns liegt der Orsono, ein gewaltiger Vulkan. Sein Krater ist erloschen und vollständig vergletschert. Wie ein Edelstein leuchtet die Eiskuppe auf dem Blau des Himmels. Mächtige Wälder steigen an den Hängen empor. In der Ferne braust der Wasserfall eines Gebirgsflusses. Die Täler sind steil und eng.

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Erdbeben und Vulkanausbruch

"Da drüben", zeigt uns der chilenische Führer, "das ist der Calbuco, ein noch tätiger Vulkan. Vor 35 Jahren, Senores, da hat er seinen letzten Ausbruch gehabt. Caracho, beängstigend ist es gewesen, aber auch schaurig schön. Besonders nachts. Das Flammenmeer über dem Gipfel hat eine unglaubliche Helle verbreitet. Aber 1939, das große Erdbeben in Mittelchile. Madre dios! Ich habe es miterlebt. Beim ersten Stoß sind wir ins Freie gerannt. Oh, schrecklich, furchtbar ist es gewesen! Als wir uns umdrehten, war die Hütte verschwunden, vom Erdboden verschluckt. Gelaufen sind wir - in Todesangst, die Erde schwankte unter unseren Füßen. Glauben Sie mir, Senores, das war wie ein Weltuntergang. Das ganze, weite Land ist verwüstet worden. Kein Baum und kein Strauch mehr, so weit man sehen konnte."

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Der Inquilino lief davon

Unser chilenischer Führer erzählt aus seinem Leben. Er hat einmal eine große Dummheit begangen, ist seinem Patron, dem Besitzer einer Hacienda, davongelaufen. Kein anderer Hacendado hat ihm daraufhin wieder Arbeit gegeben. Warum denn nicht? Oh, das ist ungeschriebenes Gesetz hierzulande. Der Inquilino ist ein seßhafter Arbeiter auf der Hacienda. Ein Stückchen Land überläßt ihm der Patron zum Bebauen. Das reicht gerade für ein paar

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